Entwicklungspsychologie

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Entwicklungspsychologie - was ist das?

Puck über Enten

Ok. Ich seh schon, ich muss erst was erklären: "Psychologie", auf deutsch die "Seelenkunde", ist die Lehre vom seelischen Leben – das ist das, was uns zu Menschen macht - seinen Gegebenheiten, Abläufen und deren Zusammenhängen. Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit dem seelischen Leben von Kindern und Jugendlichen. Diese Zeit der Entwicklung von einem Kind zum Erwachsenen ist etwas besonders Interessantes, in der eine Menge in einer Person vor sich geht. Daher gibt es dafür eine eigene Zweigwissenschaft, die Entwicklungspsychologie eben. Die Psychologie ist auf den ersten Blick vielleicht eine schwierige Wissenschaft, weil Fachleute mit einer Menge langer Fachwörter darüber schreiben. Für uns bedeuten ihre Forschungsergebnisse aber auch Unterstützung und Hilfe. Sie helfen dabei zu verstehen, warum uns bestimmte Ereignisse auf die eine oder andere Weise berühren und das hindert uns auch ein wenig daran, blind der Routine, der Mode oder dem Gesetz zu folgen.

Natürlich ist die Psychologie der WiWö-Stufe auf die Praxis und nicht auf die Theorie ausgerichtet. Unsere Aufgabe ist es nicht neue lange Wörter einzuführen und Theorien aufzustellen. Wir rollen die Ärmel hoch und setzen uns mit unseren WiWö in den Sonnenschein. Wir arbeiten und spielen mit ihnen, hören ihnen zu und erzählen ihnen etwas und während dieser ganzen Zeit beobachten wir sie ("Look at the boys/girls!"), um zu erfahren, was ihnen zum Besten dient und ob ihnen irgend etwas Kummer bereitet. Wir beobachten, wundern uns, denken darüber nach und finden schließlich meist heraus, warum das alles so ist. Genau in diesem Bereich kann uns psychologisches Fachwissen unterstützen: Wir können uns Tipps und Erklärungen holen oder erlangen neue Sichtweisen. Und so sammeln wir Jahr um Jahr dieses Wissen und werden nicht müde, es bei unseren Meuten/Völkern anzuwenden. Dabei verlieren wir aber nicht aus den Augen, dass jedes einzelne Kind etwas Besonderes ist und seine Besonderheiten hat.

Wir haben schon im ersten Kapitel festgestellt, dass unser Angebot an Kinder bei den WiWö nicht reine Freizeitbeschäftigung ist, sondern auf einem pädagogischen Konzept beruht. Pädagogisch richtig (verantwortungsbewusst) handeln heißt, dass

  • du versuchst deine WiWö zu verstehen, zu wissen, wie es um sie bestellt ist. Denn du musst die Kinder "dort abholen, wo sie gerade in ihrer Entwicklung stehen": Wenn dein Programm zu schwierig ist, werden die Kinder überfordert sein, wenn du es zu leicht gestaltest, werden sie sich langweilen.
  • du ein Ziel vor Augen hast; d.h. dass du weißt, was dein pädagogisches Handeln bezwecken soll, wobei und wie du deine WiWö beim Erwachsenwerden unterstützen kannst.

Beide Punkte befolgst du sicherlich, wenn du dich an das Konzept der PPÖ (Ziele, Schwerpunkte, Erprobungssystem, Herz – Hirn – Hand) hältst.

Für beide Forderungen ist aber auch die Entwicklungspsychologie eine Hilfe. Sie hilft dir nicht nur dabei, wenn es um das "durchschnittliche Kinderverhalten" geht, auf dem letztendlich alle Erziehungskonzepte beruhen, sondern auch wenn du jedes einzelne deiner WiWö betrachtest. Dafür brauchst Du als WiWö-Leiterln Erkenntnisse über die Entwicklungsschritte eines Kindes:

  • Du kannst lernen, auf die Bedürfnisse einzelner WiWö gezielter einzugehen; nicht zuviel, aber auch nicht zuwenig zu verlangen.
  • Du kannst durch Beobachten das Verhalten in der Gemeinschaft (Meute/Volk) besser verstehen.
  • Du kannst beim Gespräch mit den Eltern (Erziehungsberechtigten) gezielter fragen, wenn du beobachtest, dass ein WiWö auffallend anders ist als AltersgenossInnen.
  • Du kannst Schwierigkeiten einzelner WiWö besser wahrnehmen, sie besser verstehen und ihnen weiterhelfen.


Pädagogisches Handeln heißt in dem Sinn also:

Rahmenbedingungen schaffen, in denen Entwicklung ablaufen kann und das einzelne Kind in seiner Einmaligkeit anerkannt und unterstützt wird.


Bedenke aber bei all diesen Aspekten, dass die Psychologie eine Wissenschaft ist, wir aber nur ehrenamtliche Kinder- und JugendleiterInnen sind. Übertreibe die Psychologisierung nicht und – vor allem - ziehe keine voreiligen Schlüsse! Wenn du dir bei einer Sache nicht sicher bist, besprich sie mit deinem Leitungsteam, frage FreundInnen und wende dich ruhig auch an ExpertInnen.

Phasen der Entwicklung

Wir brauchen dir wahrscheinlich nicht erzählen, dass sich deine WiWö vom Eintritt mit 7 Jahren bis zu ihrer Überstellung zu den GuSp stark verändern. Wie schon erwähnt: "Kind sein" heißt vor allem Veränderungen durchmachen, sich entwickeln. Wir wollen uns daher erst einmal diese Entwicklung eines – hier wieder "typischen" WiWö - im Alter von 7 bis 10 Jahren anschauen. Um das Bild etwas abzurunden, betrachten wir auch die Zeit vorher und kurz nach den WiWö. Die Altersangaben dienen allein als Orientierungshilfe und verschieben sich – je nach Kind - um einiges vor oder zurück.

Kurze Zusammenfassung der Entwicklung des Kindes bis zum Schuleintritt (1. Volksschulklasse)

Ab der Geburt (und eigentlich auch schon vorher) wird das Kind durch seine Familie geprägt. Die erste starke Bezugsperson ist natürlich die Mutter des Kindes, etwas später spielt auch schon der Vater eine große Rolle. Hauptbeschäftigung ist die Befriedigung der Grundbedürfnisse (Schlaf, Hunger, Durst, Sicherheit, Geborgenheit und Liebe). Das Kind entwickelt sich im Schutz der Familie zu einem lebenstüchtigen Menschen, es erlernt durch Nachahmung die Grundzüge des Sozialverhaltens. Das Kind lernt Sprechen, Gehen, selbständiges An- und Auskleiden, selbständig Essen, Körperpflege usw. . Es erwirbt Alltagsroutine!

Einige markante Entwicklungsschritte:

1-2 Jahre: das Kind imitiert seine Eltern
2-3 Jahre: es kann einfache Spielregeln einhalten; hier gibt es auch die berühmten Trotzphasen
3-4 Jahre: das Kind unterscheidet mein und dein; es kann die Außenwelt von der Familie unterscheiden und begreift, dass es unterschiedliche Spielregeln gibt
4-5 Jahre: es kann mit anderen Freundschaft schließen, Regeln einhalten; das Kind schafft sich eigene Ordnung
5-6 Jahre: es kann in einer Gemeinschaft konstruktiv spielen; viele Warum-Fragen tauchen auf

Das 6-jährige Kind – SchulanfängerIn

In diesem Alter sind die Sinnesorgane eines Kindes vollständig entwickelt und koordiniert, es kann sich auch sprachlich schon sehr gut ausdrücken. Kinder denken jetzt schon realistisch, sie erobern sich die Sachwelt und bauen jeden Schluss auf ihrer Wahrnehmung auf. Allerdings erkennen sie schwer abstrakte Zusammenhänge. Spiele müssen daher einen "Sinn" haben, sie müssen auf Anhieb funktionieren, sonst werden sie abgelehnt. Soziale Erlebnisse und gesellschaftliche Grenzen bzw. Forderungen können von Kindern in diesem Alter in Form von Rollenspielen nachgespielt werden. Prinzipiell unterliegen sie leicht "Gefühlsansteckungen", so werden z.B. Gefühle der Eltern – aber auch von anderen Bezugspersonen oder FreundInnen - stark nachgeahmt. Durch den Einstieg in das Schulsystem ist dieses Alter auch durch sehr viele neue Einflüsse geprägt, die von außen auf das Kind einströmen:

  • die jeweilige Stellung in einer Rangordnung wird vom Kind deutlicher erlebt
  • neue Bezugspersonen (LehrerInnen, ErzieherInnen,..) treten auf, neue Regeln werden aufgestellt
  • das Kind erfährt neue Dimensionen von Autorität (Leistung wird verlangt; Ausdauer; Einfügen in eine Klassengemeinschaft; ...)
  • die bisher gewohnte Alltagsroutine verändert sich: dadurch sind Kinder oft aufgewühlt und unruhig. Sie werden manchmal wieder unselbständig, wenn die neue Stellung in der Gesellschaft sie überfordert.

Daher, um das Kind nicht durch eine weitere neue Gemeinschaft mit neuen Regeln zu überfordern, nehmen wir keine SchulanfängerInnen bei den WiWö auf!!!

Frühe reife Kindheit (ca. 7-9 Jahre)

In diesem Alter machen die meisten Kinder den ersten Schritt zur Selbstständigkeit. Die Ichbezogenheit tritt zurück, das Kind wird ein besserer Zuhörer und hat auch schon Verständnis für Probleme und Sorgen anderer. Es beginnt langsam, sich ein bisschen von den Banden der Familie zu lösen. In der Schule, aber auch bei uns in der Heimstunde haben sie die Möglichkeit dieses unter unserer Leitung und in der Gruppe mit Gleichaltrigen zu versuchen. Ab dem 7. Lebensjahr suchen Kinder auch von sich aus die Gemeinschaft der Gruppe, da sie ihre Interessen mit Gleichaltrigen teilen wollen. Das einzelne Kind lernt, dass es in der Gemeinschaft stärker ist und bestimmte Ziele besser erreichen kann.

Das Gruppenleben ermöglicht dem Kind die Erfahrung zu machen, dass es andere Kinder gibt, die sich als AnführerIn eignen. Es erlebt Situationen in denen es diese Rolle selber übernehmen kann. Das Kind lernt AnführerInnen anzuerkennen oder sich gegen sie durchzusetzen, falls sie versagen. Außerdem lernt es, mit Streit fertig zu werden und Konflikte zu lösen. Es sucht sich Idole aus Fernsehen, Computerspielen, Literatur oder dem Bekanntenkreis und will genauso stark und erwachsen sein.

Du als LeiterIn bist sogar etwas mehr als so ein neues ldol. Da sie dich ja regelmäßig in einer Beziehung zu sich erleben, bist du eine neue Bezugsperson. Sie betrachten dich als Vorbild und hegen anfänglich eine starke gefühlsmäßige Bindung dir gegenüber. Mit der Zeit ihrer Entwicklung weicht diese Beziehung aber einer sachlicheren Einstellung zu dir.

Ein Kind in diesem Alter vergleicht durch seine größeren Kontakte zu anderen Kindern das Verhältnis zu seinen Eltern und beginnt die Ansprüche seiner Eltern in Frage zu stellen. Kinder, die zunächst vom Erwachsenen im Urteil und Handeln abhängig sind, werden zunehmend selbständiger. Starre Regeln und Gesetze werden für sie veränderbar. Die Kinder werden fähig, Regeln der jeweiligen Situation anzupassen. Sie tun dies allerdings nicht von sich aus oder durch eine Erbanlage, sondern wenn Erwachsene in ihrer Umgebung (und vor allem ihre Bezugspersonen, also auch du!) partnerschaftlich mit ihnen umgehen und ihr Sozialverständnis fördern.

Erziehen heißt, zur Selbstständigkeit führen, damit das Kind fähig wird, auf eigenen Füßen zu stehen. Dieser Weg führt über die Mitsprache und Mitgestaltung zur freien Entscheidung. Ein langer Weg, der nicht schon bei den WiWö abgeschlossen werden kann, sondern erst bei den RaRo! Aber die ersten Schritte setzen wir und sie sind Voraussetzung für späteres demokratisches Verhalten.

WiWö und andere Kinder in diesem Alter lernen nun auch die Fertigkeiten, die notwendig sind, um Ziele zu erreichen. Sie entwickeln Fleiß und sie lernen einzuschätzen, was sie gut oder weniger gut können. Um dieses Leistungsbewusstsein zu entwickeln, ist Konkurrenz mit anderen nicht unbedingt notwendig, wohl aber die Anerkennung durch andere. Nur so entsteht auch Vertrauen in die eigenen Leistung. Erst dann wird Zusammenarbeit möglich (Gemeinschaftsgefühl). Das einzelne Kind merkt, dass es auf die Hilfe und Anerkennung anderer angewiesen ist und andere Kinder auf seine. Leistungen, die das Kind jetzt erbringt, setzen sich aus den drei Funktionen Wahrnehmung - Denken - Sprache zusammen. Da es unzählige Erfahrungen gesammelt und im Gedächtnis gespeichert hat, kann es diese Informationen für die Lösung neuer Aufgaben kombinieren. Dadurch wird es fähig, Strategien zu entwickeln und Handlungen zu planen, bevor es sie ausführt. Es kann also zuerst denken und danach handeln – und es kann diesen Vorgang mit seiner Sprache beschreiben. Kinder können jetzt aber auch die Lüge gezielt und bewusst einsetzen, um sich vor Misserfolgen zu schützen. Neben der oben beschriebenen Bereitschaft zur Gemeinschaft ist dies ein weiterer Schritt um sogenanntes "politisches Verhalten" zu erlernen. Das hat jetzt nichts mit politischen Parteien zu tun, sondern beschreibt die Fähigkeit einer selbständigen Persönlichkeit sich in der Wirklichkeit der Gesellschaft zurechtzufinden. Dafür ist es nötig,

  • seine eigenen Interessen auszudrücken und zu vertreten.
  • Konflikte lösen zu können.

Auch hier ist es unsere Aufgabe als WiWö-LeiterInnen diesen Prozess (der natürlich wieder nicht bei den WiWö abgeschlossen werden kann, sondern erst viel später) zu unterstützen und zu begleiten. Vermittle deinen WiWö, dass Gewalt und Unterdrückung als Mittel der Auseinandersetzung abzulehnen sind (Friedenserziehung!). Und du kannst mit deiner Arbeit helfen, Vorurteile abzubauen.

Durch neue bewusste Erfahrung mit dem eigenen Körper entfaltet ein Kind zwischen acht und neun Jahren mehr und mehr seine Sexualität. Es übt seine Rolle und sein Verhalten als Mädchen bzw. Junge ein und bereitet sich so für die nächste Entwicklungsphase vor - die Pubertät. Während Mädchen und Jungen als Sechs- bis Siebenjährige noch einträchtig miteinander spielen, ist das spätestens für Acht- und Neunjährige unvorstellbar. Buben finden Mädchen einfach blöd und umgekehrt verhält es sich genauso. In diesem Alter wollen sie sich so in der Gruppe gegenseitig ihre Weiblichkeit bzw. Männlichkeit beweisen, und sie lernen dabei auch ihre geschlechtlichen Rollenmuster kennen und anzuwenden. Was allerdings nicht ausschließt, dass es unter Achtjährigen schon zu ersten Romanzen kommen kann, die aber mit körperlicher Sexualität noch nichts zu tun haben. Im Folgenden haben wir noch ein paar Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen zusammengestellt, die wir für Kinder im WiWö-Alter als typisch erachten:

Kinder sind neugierige Beobachter

Für deine WiWö ist vieles neu und damit interessant und entdeckenswert. Sie brennen darauf zu wissen, wie Dinge funktionieren und warum es sie gibt. Ihre Neugierde und ihre Beobachtungsgabe machen die WiWö-Stufe so spannend und bieten einen guten Ansatzpunkt für deine Arbeit in der Meute/im Volk. Zugleich mit der schon erwähnten Selbstständigkeit treten auch zahlreiche neue Interessen auf (Geheimsprache, Sammlerleidenschaft, ...). In diesem Alter wird Kindern auch das erste Mal die zeitliche Abfolge vieler Dinge bewusst, sie entwickeln ein Zeitgefühl.

Kinder sind spontan

Für Kinder gilt das Lustprinzip, sie handeln spontan und bedenken nicht alle Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Hier brauchen sie deine Unterstützung! Mach deinen WiWö die Konsequenzen einer Entscheidung deutlich und gib ihnen auch Zeit, in Ruhe über die Entscheidung nachzudenken und das Für und Wider abzuwägen. Außerdem ist es wichtig, darauf zu achten, dass Ergebnisse nicht zu lange auf sich warten lassen. Als LeiterIn musst Du einen längeren Prozess in viele kleine Schritte einteilen, um den Kindern zu zeigen, dass etwas passiert. Und dass das, was sie tun bzw. entscheiden Konsequenzen hat! Das bedeutet auch, dass du langfristige Planungen und unüberschaubare Zeitabstände für die WiWö anschaulich und überschaubar machen musst (Wann bekomme ich meinen Stern? Wann fahren wir auf Lager?...).

Kinder sind emotional

Prinzipiell sind Kinder in diesem Alter seelisch sehr ausgewogen, dass heißt, es wirft sie nichts so schnell aus der Bahn. Die Gefühle, die sie für etwas empfinden, beeinflussen aber ihre Entscheidungen oft stärker als vernünftige Argumente! Auch wenn die WiWö durchaus schon rational denken können, so ist die Fähigkeit mit allen Sinnen wahrzunehmen und ganzheitlich zu leben, doch sehr viel stärker ausgeprägt, als bei Erwachsenen. Zusätzlich sind sie in ihren Emotionen auch noch sehr stark an andere (Bezugspersonen, FreundInnen) gebunden. Das heißt: Es ist nicht nur entscheidend was du zu deinen WiWö sagst und was du mit ihnen unternimmst, sondern viel mehr auch wie du es sagst bzw. tust! Lerne dabei du von deinen WiWö und zeige auch du deine Gefühle.

Kinder brauchen Bewegung

Wenn die Kinder nach 5 Jahren frei herumtollen plötzlich täglich 5-6 Stunden in der Schule still sitzen müssen, entwickeln sie außerhalb der Schulzeit einen besonders großen Bewegungsdrang. Sei froh darüber, nichts ist öder als Kinder die nur herumsitzen. Lass also am Anfang einer Heimstunde immer genügend Zeit, dass sich auch die Energiegeladensten austoben können.

Kinder brauchen Übersichtlichkeit und Struktur

Vieles im Nahbereich deiner WiWö ist kompliziert und unüberschaubar für sie. Sie brauchen Informationen um Zusammenhänge zu verstehen und klare Rahmenbedingungen in denen sie sich zurechtfinden können. WiWö brauchen Regeln, Möglichkeiten in gewissen Grenzen, Zeitvorgaben und bestimmte Arbeitsformen und wir bei den PPÖ versuchen ihnen das mit unserem Programm (Gesetz, Versprechen, Ziele, Erprobungssystem, Spiel als Methode, Rahmengeschichten,...) zu geben. Achte bei dir in Volk/Meute z.B. auf einen geregelten Heimabendablauf bzw. einen geregelten Tagesablauf am Lager und gib deinen WiWö eine konsequente und transparente Leitung!!

Kinder brauchen Zeit

Kinder brauchen viel Zeit zum Nachdenken, da sie sich Dinge oder Zusammenhänge, die dir selbstverständlich sind, erst überlegen müssen. Gib ihnen die Zeit und Möglichkeit dazu. Bedenke, dass sie keine kleinen Computer sind, denen man das "Denken" befehlen kann – sie müssen es selber erledigen und du kannst ihnen nur die besten Rahmenbedingungen dafür schaffen. Ein Volk/eine Meute zu einer Gruppe zu machen, in der sich alle wohl fühlen und fair miteinander umgehen - das ist eine große und langwierige Aufgabe, bei der Schritte die Dir klein vorkommen in Wirklichkeit ganz groß sind!

Phantasie

Kinder können sich vollkommen in eine wundersame Phantasiewelt vertiefen. Sie spielen dann nicht bestimmte Figuren (Ritter, Steinzeitmensch, Schlange Kaa, ein Farnbilbenwichtel, ...), sie sind diese Figuren – auch wenn sie sehr wohl wissen, dass das Erfundene nicht Wirklichkeit ist. Bei den WiWö gibt es daher die Rahmengeschichten (Dschungel und Waldenland), die in einer phantasievollen Umgebung spielen. Durch sie ist es möglich, dass die Kinder immer wieder in eine vertraute Phantasiewelt eintauchen. Dabei stellst du keine "Scheinwelt" als Realität vor. Du bietest den WiWö vielmehr kindgerechte Bilder und Symbole für Verhaltensmuster und Gesellschaftsmodelle, die sie leichter verstehen können als theoretische Lebenskonzepte und Ideale.

Entwicklung im WiWö-Alter – Steckbrief

Mogli als Baby
Mogli als Baby
Mogli als Baby
WiWö 7 Jahre WiWö 10 Jahre GuSp
Äußere Erscheinung und Fähigkeiten sehr kindlich, klein, sehr unterschiedliche Feinmotorik, weniger als 15 min. Konzentrationsfähigkeit größer, robusteres Erscheinungsbild, 20 min. Konzentrationsfähigkeit Pubertät beginnt, körperliche Veränderungen, Konzentrationsfähigkeit steigt
Seelische Verfassung verspielt, direkt, offen, Ich-bezogen, Verantwortung schwach selbständiger, fähig, selbständig zu arbeiten, können sich selber Ziele setzen, Leistungsbewusstsein, mehr Umweltbezug, Abenteuerlust, Verantwortungsbewusstsein steigt, hat gelernt, dass eigene Handlung andere verletzen kann ausgeprägte Abenteuerlust, Koordinierungsfähigkeit steigt, erste Selbstentscheidung
Interessen singen, basteln, Bewegungsspiele, Geschichten hören, Gemeinschaft (je größer, desto besser) Spiele mit differenziertem Aufbau, entdecken, forschen, Umwelt, Hinterfragen von Aufgaben, Kräfte messen, Großgruppe verliert an Attraktivität, Drängen zur Kleingruppe mit Gleichaltrigen (Peergroup) Wissensdrang, neue Freunde, Loslösen von Autorität, Abenteuerlust, entdecken, forschen
Besonderheiten im Umfeld neue Freunde, gewisse Selbständigkeit, neue Aufgaben, fallweise Leistungsdruck, Anforderungen steigen, Disziplin, Bezugspersonen ändern sich Fülle von Bezugspersonen,

Position bestimmen (Machtkämpfe), Welt wird größer, verstärkte Kontakte außerhalb der Familie, entschlussfähig

neue Schule, neue FreundInnen, neue Ordnung, erhöhter Leistungsdruck


Natürlich handelt es sich bei unseren drei "Modellen" wieder um theoretische Kinder. Kein Kind schaltet im Alter von 10 Jahren über Nacht von der einen auf die andere Entwicklungsstufe um. Die einzelnen Etappen dauern bei jedem Kind unterschiedlich lang und jedes Kind führt nicht alle Schritte gleichzeitig aus. Deine Aufgabe als LeiterIn ist es aber ein wenig das Gesamtbild zu überblicken. Denn viele dieser Entwicklungen entscheiden, ob sich ein Kind bei den WiWö noch wohl fühlt, oder ob es zu den GuSp überstellt werden sollte.

Wie geht`s weiter?

10-12jährige GuSp befinden sich in der sogenannten "Reifen Kindheit", wobei diese bei den Spähern meist wesentlich länger andauert als bei Mädchen. Diese Phase ist durch den Eintritt in die Frühpubertät geprägt. Verstärktes Längenwachstum setzt ein und die ersten körperlichen Anzeichen von Erwachsenen entwickeln sich. Kinder in diesem Alter beginnen die sie umgebenden Normen zu kritisieren, lehnen andere(s) oft entweder total ab oder akzeptieren sie (es) vollkommen. Sie haben ein starkes Verlangen nach Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Es gibt die Bereitschaft aus Fehlern zu lernen, Schwierigkeiten vorauszusehen und zu überwinden. Wichtig ist die Anerkennung durch die Gleichaltrigen (erhöhtes Prestigebedürfnis). GuSp fühlen sich in einer kleinen Gemeinschaft der gleichaltrigen und gleichgeschlechtlichen (so genannte Peergroups) wohler, als in der Großgruppe. Es kann zu regelrechten "Bandenbildungen" kommen, in der starke Gruppendisziplin herrscht. In dieser Gruppe ist jedEr bereit, seine/ihre Aufgaben zu finden und Verantwortung zu tragen. Methodisch reagieren wir bei den PPÖ darauf, indem im Gegensatz zu den WiWö ab dieser Altersgruppe in Kleingruppen (Patrullen) gearbeitet wird.

Das Sexualverhalten ist sehr gleichgeschlechtsbezogen. Demokratische Entscheidungen sind für 10-12jährige nachvollziehbar und werden auch akzeptiert. Sie sind auch schon fähig auf längere Sicht zu planen und zu organisieren.

Welche Einflüsse bestimmen den Charakter des Kindes

Jetzt wissen wir genau, welche Entwicklungsschritte, welche Veränderungen unsere WiWö in ihrer Zeit bei uns durchmachen. Bevor wir uns den Fähigkeiten und Problemen einzelner Kinder zuwenden, schauen wir uns noch zwei spezielle Bereiche an: Unter welchen Einflüssen stehen Kinder heute und wie lernen Kinder.

Das Verhalten jedes Kindes resultiert einerseits aus dem Grundstein seiner Erbanlagen, andererseits aus der Summe seiner bisherigen Erfahrungen. Dabei ist das Elternhaus, die Familie bis zum 6. Lebensjahr natürlich der Bezugspunkt für ein Kind. Vieles lässt sich leicht erklären, wenn du als LeiterIn die familiäre Situation eines Kindes kennst. Daneben spielt, ebenfalls logisch, die schulische Umgebung deiner WiWö eine große Rolle. (Hat ein Kind Kindergartenoder Vorschulerfahrung? Welchen Schultyp besucht es? - z.B. Integrationsklassen, Montessori-Pädagogik, ... - Wie groß ist die Klasse? etc.)

In den letzten Jahren hat sich die Familienstruktur sehr stark verändert. "Ein-Kind-Familien" sind eher die Regel, es wird immer früher mehr "Erwachsen-Sein" erwartet, die Kind-Eltern-Beziehung ist eine partnerschaftlichere geworden, mehr und mehr Kinder werden von nur einem Elternteil erzogen. Hinzu kommt der Leistungsdruck durch höhere schulische Belastung und zunehmenden Verpflichtungen in der Freizeit. Untersuchungen haben ergeben, dass rund 80% aller Kinder im WiWö-Alter in einem Verein oder einer Gruppe aktiv sind. Auch das Verhalten der Kinder hat sich in den letzten Jahren verändert. Die klassische "Kinderbande" gibt es fast nicht mehr. Nur noch in der Schule gibt es größere Gruppen, das nachmittägliche Spiel findet meist zu zweit oder zu dritt statt, manchmal auch allein. So bieten häufig nur Betreuungseinrichtungen oder Freizeitinstitutionen wie das Wi-Volk/ die Wö-Meute eine Chance für Gruppenaktivitäten. Für dich, als WiWö-LeiterIn ist es daher wichtig, die Lebenssituation deiner WiWö zu kennen und dich mit ihren Lebensbedingungen auseinander zu setzen. Mit diesem Wissen über die Kinder in deiner Meute/deinem Volk hast du die Chance, die Heimstunden so zu gestalten, dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Vergiss bitte nie bei der Arbeit mit deinen WiWö: Das soziale Gefüge der Umwelt wird von ihnen vorerst unbekümmert akzeptiert, das heißt sie vertrauen dir beinahe uneingeschränkt! Missbrauche dieses Vertrauen niemals – sorge für ihre Sicherheit, solange sie in deiner Obhut sind und nimm die Sorgen und Wünsche deiner WiWö ernst, auch wenn dir etwas noch so lächerlich vorkommt. Versuche ihre Stärken zu fördern und gemeinsam mit ihnen an ihren Schwächen zu bearbeiten - dann werden sie gerne zu dir kommen, dich ernst nehmen. So kannst du wertvolle Kinder- bzw. Jugendarbeit leisten.

Wie Kinder lernen

Dass wir die Beschäftigung mit Kindern und Jugendlichen bei den PPÖ nicht als Freizeitgestaltung betrachten, sondern auch ein pädagogisches Konzept verfolgen bedingt, dass wir uns kurz auch anschauen, wie Kinder lernen.

Lernfelder

Dieses Lernen geschieht auf unterschiedlichen Ebenen: WiWö lernen im Sinn von "Wissenserweiterung" – du erzählst ihnen sicher viel über so manches Tier, Blumen und Bäume, oder wer z.B. BiPi war. WiWö lernen während eurer gemeinsamen Aktivitäten aber auch viele Fertigkeiten: Schau dir nur die Erprobungskarte an und du wirst viele solche Lerninhalte entdecken (Knoten knüpfen, einen Ball fangen und werfen, die eigenen Sachen in Ordnung halten, ...). Dazu gehören auch kreative Fähigkeiten wie Pantomime, Zeichnen, Malen, Formen oder Lieder singen. Darüber hinaus gibt es eine dritte Lernebene, die bei deiner Arbeit mit WiWö abgedeckt wird: Das sogenannte "soziale Lernen". Das meint, dass Kinder in diesem Alter bei den PfadfinderInnen (und natürlich auch in der Schule und vor allem in ihrer Familie) den Umgang mit anderen Menschen lernen. Wenn du nochmals die Erprobungskarte zur Hand nimmst, findest du sicher auch Punkte, die eindeutig diesem Lernfeld zu zuordnen sind (z.B.: "Ich habe jemanden eine Freude bereitet und helfe überall, wo ich kann").

Lerntypen

Neben diesen unterschiedlichen Ebenen, auf denen Kinder bei den WiWö lernen, gibt es auch unterschiedliche Arten, wie jedes einzelne Kind lernt. Man spricht hier von unterschiedlichen "Lerntypen". Du kennst das vielleicht noch aus deiner eigenen Schulzeit: Manche lernen besonders leicht, wenn sie sich einen Text bunt gestalten (unterstreichen, Textmarker). Andere bevorzugen es, wenn sie mit KollegInnen über den Stoff reden können, wieder andere merken sich Grafiken und Bilder ganz besonders gut. Schließlich gibt es welche, die müssen "alles angegriffen haben", um etwas zu verstehen.

Wenn du allen WiWö was beibringen und alle Kinder anzusprechen willst, musst du möglichst vielfältige Methoden verwenden. Zum Glück kommt es bei den Pfadis nur sehr selten vor, dass Wissen rein über Texte vermittelt wird – denn über diese Lernform wird eben nur einem Teil der Kinder die Möglichkeit gegeben, auch wirklich was zu lernen. Auch im herkömmlichen Schulbetrieb setzen sich Unterrichtsmethoden immer mehr durch, die auf die unterschiedlichen Lerntypen Rücksicht nehmen. Eigentlich ist das eine schöne Bestätigung für die Arbeit, die wir bei den WiWö schon seit langer Zeit leisten!

Konzentrationsdauer – Flexibilität

Eines haben aber fast alle Kinder im WiWö Alter gemeinsam: Sie können sich nicht länger als 10 - 15 Minuten auf eine Beschäftigung konzentrieren. Besonders stark kommt das bei ruhigen Programmpunkten zum Ausdruck. Die Konzentrationsfähigkeit hängt zusätzlich noch sehr stark von äußeren Einflüssen ab. Föhniges Wetter wirkt sich z.B. erfahrungsgemäß eher negativ aus, oder: Wenn es gerade eine neue Umgebung am Sommerlager zu erkunden gilt, müssen die Bundesländerwappen kurz warten. Du kennst sicher solche Situationen.

Wir wollen damit sagen: Es ist wenig sinnvoll, ein Programm unbedingt durchführen zu wollen, wenn die Kinder nicht bei der Sache sind. Sicher ist es dir schon passiert, dass du ein Erprobungsspiel erklären wolltest und die Kinder zu unruhig waren, um zuzuhören. Wahrscheinlich hast du dann eben dein Programm geändert, hast ein Bewegungsspiel gemacht. Du hast auf die Kinder richtig reagiert.

Bezüge herstellen

Komische Überschrift, ich weiß. Aber ich will dich damit auf einen weiteren wichtigen Punkt hinweisen, wenn du deinen WiWö mit Freude etwas vermitteln willst. Kinder im WiWö-Alter haben noch kein ausgeprägtes abstraktes Denken. WiWö können mit "trockenen" Begriffen (Freundschaft, Gesetz, Vertrauen, ...) nichts - oder nicht viel - anfangen. Es ist nicht zielführend, Worte oder Begriffe zu vermitteln, weil die Kinder deren Inhalt nicht verstehen können. Erkläre zuerst die Sache und dann die Bezeichnung dafür. Eine große Hilfe dabei ist die Fähigkeit von Kindern, sich in Geschichten hinein zu versetzen. Verwende daher eine passende Geschichte, in der genau diese "komplizierten Dinge" vorkommen, um sie deinen WiWö "begreiflich" zu machen. Erzähl die Geschichte nicht nur, sondern spielt sie, malt sie, formt etwas oder ... . So werden selbst abstrakte Werte, über die Philosophen dicke Bücher geschrieben haben, für deine WiWö "begreifbar".

Noch was: Es ist nicht sinnvoll, wenn Kinder etwas auswendig lernen müssen, was sie nicht verstehen oder nicht gebrauchen können. Da ist es schade um die Zeit und es gibt ja noch so viel interessante Dinge zu lernen ...
Kinder sind ganz wild darauf, etwas zu lernen. Du musst dabei nur auf ihre Bedürfnisse achten. Hier ein paar Tipps, wie du deine WiWö begeistert zum Lernen bringst:

Kinder mögen gern ...

  • wenn möglichst viele Sinne angesprochen werden
  • wenn sie ernst genommen werden
  • wenn ihnen Achtung, Verständnis und Offenheit entgegengebracht wird
  • wenn sie sich aktiv beteiligen, selber etwas tun können
  • wenn sie motiviert werden
  • wenn sie sich in Märchen und Geschichten hineinversetzen können
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Zurück zum Anfang dieses Abschnitts: Da haben wir kurz die Lernfelder von WiWö erwähnt. Auf das "soziale Lernfeld" – also das Lernen des Umganges mit meinen Mitmenschen – komme ich in diesem Abschnitt nochmal kurz zurück. Das erschöpft sich nämlich nicht nur auf die Inhalte der Erprobungskarte. Soziales Lernen passiert ständig - und du kannst es beeinflussen so lange du mit deinen

WiWö zusammen bist. Aber dazu mehr unter dem Abschnitt Führungsstile!

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